"Streik"


(in einem Großbetrieb in der DDR 1983)
03/21


An der Stechuhr ist keine Schlange. Der superpünktliche Herr Jungfacharbeiter stanzt sich seine erste 6:22 auf die Karte.
Stechuhren verband ich immer mit Kapitalismus. Seit ich hier arbeite, sind sie ein Sinnbild für Großbetriebe. Große Pulks grauer Wesen, die es zum Tagwerk zieht. Ewiges, unpersönliches Hamsterrad. Spuren von Mordor.
Die Umkleide ist eine hohe düstere Halle mit Reihen von Spinden. Daß ich meinen trotzdem immer leicht finde, liegt nicht an der spärlichen Beleuchtung und auch an keiner großen Besonderheit. Ist aber so. Die meisten leisten sich den Luxus eines zweiten Spindes. Denn abgesehen, daß alles irgendwie nach Kakerlakentod riecht, nimmt das Innere des Spindes schnell den Geruch nach glühendem Metall und Öl an und nach der Asche, die im ganzen Kraftwerk tanzt. Mal mehr mal weniger große Teilchen aber immer präsent. Alles bedeckt sie in Rieselhöhe. Die kleinste Erschütterung wirbelt alles auf. Also vorsichtig Treppen steigen. Nirgendwo anstoßen. Sonst hebt sich eine Wolke, die sich je nach auf- oder absteigender Luft hoch oder runter bewegt.
Da die Etagen nur durch Lichtgitterroste getrennt sind, war dies auch ein beliebter Streich gegenüber unliebsamen Personen.
Die Lichtgitterroste hatten auch den Effekt, daß sie aus den Augenwinkeln im rechten Winkel nicht wahrgenommen wurden. Dadurch entstand manchmal der schwindelerregende Effekt, ins Leere zu treten. Dem ließ sich durch den alkoholbedingten Tunnelblick entgegenwirken.
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