Dunkle Zeiten, die wiederkehren?


Im Zeitalter, in dem man wieder ungeniert "#Remigration " und "Ausländer raus" brüllen kann, hier eine Erinnerung wie tief die Menschheit schon einmal gesunken ist:

"Nach dem Einzug der Nazis in Österreich, 1938, wurde meine älteste Schwester abgeführt. Dann eines Tages spürte ich plötzlich den inneren Zwang, sofort nach Wien zu fahren, unbedingt. Ich durfte es ja, ich hatte keinen Stern zu tragen. Ich fuhr nach Wien, kam nachts an und erfuhr von der Nachbarin, daß die Mutti abgeholt worden war von der Gestapo. Ich konnte es nicht fassen.

Ich bin zu der Schule hingegangen, in der man meine Mutter abgeliefert hatte, bin die ganze Nacht um die Schule herumgegangen. Am nächsten Morgen fragte mich ein Mann: »Was ist los? Ich hab' Sie beobachtet, Sie sind die ganze Nacht hier spazierengegangen.«

»Meine Mutter ist in dieser Schule. Wenn ich sie nur einmal noch sehen könnte.«

»Wie heißt Ihre Mutter?«

»Berta Ehre.«

»Ich werde es versuchen. Vielleicht kann ich sie finden.«

Er ging in das Schulgebäude hinein, kam nach zwei Stunden heraus, brachte mir eine Postkarte von meiner Mutter und sagte: »Ihre Mutter ist im ersten Stock. Zum Fenster darf sie nicht gehen, aber sie wird in der Mitte des Zimmers stehen. Das Fenster ist offen. Vielleicht können Sie sie noch sehen.«

Ich habe sie noch gesehen, oben in diesem Zimmer. Sie schickte mir eine Kuẞhand zu. Dann ist sie wieder zurückgegangen.

Ich habe den Mann gefragt: »Wann werden die Menschen verschickt?«

»Das fängt an diesem Vormittag an.« Ich stand und habe gewartet, ob ich auf den Lastwagen, die herausfuhren, meine Mutter noch sehen konnte. Es kamen mehrere Lastwagen an mir vorbei. Ich lief jedem entgegen.

Auf einem dieser Lastwagen stand meine Mutter, hoch aufgerichtet, und hat heruntergerufen: »Auf Wiedersehen, meine geliebten Kinder ...«

Hinter dem Tränenschleier meiner Augen verschwand mein Elternhaus... mein Mutterhaus.
Auf der Karte meiner Mutter stand unter anderem: »Mein geliebtes Kind die Welt kann nur miteinander leben, wenn das Wort Liebe groß geschrieben ist - Liebe und Toleranz - nicht hassen - nur lieben.«
Das sind Worte, die tief in mir eingegraben sind. An diese Worte will ich mich halten, solange ich lebe."

(Berta Ehre in "Mein Elternhaus", herausgegeben von Rudolf Pörtner)