"Streik"
(in einem Großbetrieb in der DDR 1983)
02/21
Die paar Hundert Meter bis zum Werkstor schlendere ich fast. Genieße es, Zeit zu haben, nicht hetzen zu müssen. Das kommt wahrlich nicht oft vor. So bleibt sogar Zeit für einen Blick auf die Vorüberradelnden. Sehe aber kein bekanntes Gesicht, was mich nicht verwundert. Die meisten aus meiner Brigade kommen durch andere Betriebstore.
An der nächsten Straßenecke kommt mir ein anderer Geruch entgegen. Irgendwas mit Sauerkraut. Senfgeruch? Könnte Dienstag sein. Also erwartet mich ein interessanter Feierabend. Da probt der Blues im HdJ. Fein. Muss ich morgen wohl wieder abbummeln.
Überstunden habe ich eh genug. Ziehe mir alles rein, was ich kriegen kann. So muss ich auf keine Party oder Band verzichten. Die Brigade mag mich drum. Ansonsten bin ich da wohl eher eine Merkwürdigkeit. Nicht, daß ich was gegen die Arbeit hätte. Die macht Spaß, die Brigade ist o.k. Aber wir arbeiten im Schnitt nur Dreidreiviertel Stunden am Tag. Der Rest wird irgend rumgebracht. Dazu ist mir meine Lebenszeit eigentlich zu schade. Abtauchen und Lesen ist auch nicht immer möglich.
Es könnte ja auch mal unverhofft Arbeit reinkommen. Und dann müssten die anderen meinen Teil mitmachen. Unschön.
#DDR #issanurnegschichte #ddrstreik